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20.08.2011

Neuer Firmensitz: Von Pforzheim nach Thüringen

Pforzheimer Zeitung
Geld & Markt, Ausgabe 192
Autor: Lothar Neff

Pforzheim verliert ein Aushängeschild: Das Unternehmen Thermik gilt als Weltmarktführer in der Entwicklung und Produktion von Temperaturbegrenzern zum Schutz elektrischer Geräte vor Überhitzung.

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Pforzheimer Zeitung - Thermik verlässt die Goldstadt

Unternehmensgruppe verlagert Firmensitz komplett nach Thüringen.
In der Goldstadt gehen dadurch knapp 100 Arbeitsplätze verloren.
Pforzheim verliert ein Aushängeschild: Das Unternehmen Thermik gilt als Weltmarktführer in der Entwicklung und Produktion von Temperaturbegrenzern zum Schutz elektrischer Geräte vor Überhitzung. Ende August wird der Firmensitz im Pforzheimer Altgefäll geschlossen und das Unternehmen komplett nach Thüringen verlagert. In der Goldstadt gehen dadurch knapp 100 Arbeitsplätze verloren. Das Angebot nach Thüringen zu wechseln, haben nur zehn Prozent der Belegschaft angenommen.
„Es war keine Entscheidung gegen Pforzheim, sondern für Thüringen“, sagt Marcel P. Hofsaess zum ergebnisoffenen Meinungsbildungsprozess, der letztlich zur Standortschließung führte. Zurück bleibt ein leer stehendes Firmenareal mit einem imposanten Forschungs- und Kompetenz-Zentrum, das erst vor drei Jahren – rechtzeitig zum 40-jährigen Bestehen des mittelständischen Unternehmens – für drei Millionen Euro errichtet wurde. Und die Goldstadt verliert einen der größten Gewerbesteuerzahler, wie Hofsaess anmerkt.
Beirat trägt Beschluss
Der Beirat des Familienunternehmens habe den Beschluss einstimmig gefasst, bestätigte dessen Vorsitzender Wolfgang Daum, ehemals Chef der Sparkasse Pforzheim Calw. Seit der Firmengründung im Jahr 1968 durch Peter Hofsaess wurden die Thermik-Produkte in der Goldstadt entwickelt und gefertigt. Über 800 Patente und Schutzrechte zeugen von der Innovationskraft der Firmen-Gruppe, die inzwischen weltweit 650 Mitarbeiter beschäftigt. Das Herz des Unternehmens schlägt künftig in Sondershausen, rund 50 Kilometer von Erfurt entfernt. Seit 1990 ist Thermik dort bereits vertreten. „Mein Vater erkannte das große technologische Potenzial des ostdeutschen Standorts in der Halbleiter-Fertigung“, betonte Hofsaess im Gespräch mit der PZ. Zur Zeit der Wende – die sozialistische DDR lag wirtschaftlich am Boden – war dies eine unternehmerische Pionierleistung. Aus ursprünglich 25 Thermik-Mitarbeitern wurden 110, viele davon seien aus den alten Bundesländern in ihre Heimat zurückgekehrt, erzählt der Mittelständler. 
Die keramischen Bauelemente ergänzen seither die klassischen Temperaturbegrenzer auf Bimetallbasis – eine Pforzheimer Spezialität. 2,8 Milliarden Temperaturwächter wurden bislang von Thermik produziert. Sie finden sich in Ventilatoren, Hausgeräten, Motoren und Heizgeräten. Rechnerisch findet sich in jedem zweiten Haushalt ein Überhitzungsschutz von Thermik. Der 46-jährige Firmenchef ist gebürtiger Pforzheimer und in der Goldstadt aufgewachsen. „Meine Vorfahren sind hier beerdigt.“ Deshalb sei ihm die Entscheidung Pforzheim zu verlassen nicht leicht gefallen. Den Ausschlag für Thüringen gaben schließlich betriebswirtschaftliche, strukturelle und strategische Gründe. „Es wurde auch geprüft, den Standort Sondershausen am Stammsitz Pforzheim zu integrieren.“ Auch ein Verbleib von Holding, Headquarter und Entwicklung in der Goldstadt wurde analysiert. Doch die Argumente sprachen letztlich eindeutig für Thüringen, betont Hofsaess. Die enge Verzahnung von Forschung und Entwicklung mit der Produktion, kurze Wege, die Optimierung von Verfahren – das alles müsse an einem leistungsfähigen Standort gebündelt werden. Dort wird auch der Vertrieb angesiedelt. 
Thüringen biete ein breites Angebot von motivierten Arbeitskräften. „Dort war die Ingenieur-Ausbildung schon zu DDR-Zeiten tiefgründiger als hier. Und wir brauchen dringend Ingenieure und Mechatroniker.“ Die Nähe zu Universitäten und Fachhochschulen in Erfurt, Jena sowie die inzwischen sehr gute Infrastruktur seien wichtige Vorzüge der Region, die auch international immer stärker wahrgenommen würden. Dazu komme der Fachkräftemangel am Standort Pforzheim, der immer dramatischere Ausmaße angenommen habe. Absolventen der Hochschule Pforzheim blieben nicht in der Goldstadt, sondern heuerten lieber bei Konzernen in Stuttgart und Karlsruhe an. „Pforzheim gelingt es nicht, diese Leute zu halten“, beklagt Hofsaess. Bewerber von außerhalb seien wiederum nur schwer nach Pforzheim zu locken, oftmals scheitere eine Ansiedlung auch am familiären Widerstand, weil Frau und Kinder nicht umziehen wollten. Unverändert mache man auch die Feststellung, dass selbst ein Arbeitsloser eine Anfahrt von 20 Kilometern als „nicht zumutbar“ empfinde. Dadurch, dass ernsthafte Mitbewerber von Thermik unmittelbar in der Region angesiedelt seien – Beiratschef Daum spricht gar von einem Oligopol von Herstellern – kam es immer wieder zu Abwerbungen, verbunden mit entsprechendem Know-how-Verlust. 
Kein China-Engagement
Dieser unkontrollierbare Abfluss von Wissen war es auch, der ein Engagement in China ausschloss. Dort finde eine staatlich geförderte Unterwanderung statt. Marcel P. Hofsaess: „Ich habe noch keinen getroffen, der in China glücklich wurde! Wir haben uns deshalb bereits 1992 für den Aufbau einer Produktionsstätte in Malaysia entschieden, um den asiatischen Markt zu beliefern“, betont Hofsaess. Dort herrsche hohe Rechtssicherheit durch die traditionelle Zugehörigkeit zum britischen Commonwealth. Inzwischen ist das Malaysia-Werk zur Cash-cow des Unternehmens geworden. 
Weitere Standorte unterhält Thermik im rumänischen Sibiu und in New Bern, South Carolina.

Temperaturwächter
Die Firma Thermik Gerätebau ist führend im Bereich der Entwicklung und Herstellung von Temperaturbegrenzern, die elektrische Geräte vor Überhitzung schützen. Die patentgeschützten Produkte kommen vorwiegend in elektrischen Antrieben, Transformatoren und im Kfz-Sektor zum Einsatz. Gegründet wurde das Pforzheimer Unternehmen 1968 von Peter Hofsaess. 1992 trat Sohn Marcel P. Hofsaess in die Firma ein und ist seit 2006 geschäftsführender Gesellschafter. Die Thermik-Firmengruppe beschäftigt in Pforzheim (100), Thüringen (110), USA (15), Rumänien (120) und Malaysia (320) über 650 Mitarbeiter. Der Umsatz lag zuletzt bei 40 Millionen Euro.
Entscheidung für Thüringen: Thermik-Firmenchef Marcel Hofsaess mit dem früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth, den es als Unternehmer nach Thüringen (zu Jenoptik) zog sowie Marketing-Assistentin Shakiba Tehrani bei der Verleihung der „Top 100“. Die Auszeichnung wurde Thermik vor wenigen Wochen verliehen.

KOMMENTAR von Albert Esslinger-Kiefer (Verleger):
Der etwas andere Unternehmer
Dieser Unternehmer ist von der etwas anderen Art. IHK-Empfänge und gesellschaftliche Anlässe sind ihm ebenso fremd wie der Golfplatz. „Da gehe ich lieber mit dem Hund in den Wald“, sagt Marcel P. Hofsaess. Und wenn ihn Lothar Späth als einen der innovativsten Mittelständler auszeichnet, dann ist das Outfit des Geehrten fern von Zweireiher und Krawatte. Seine Vita ist kurvenreich, sein familiäres Umfeld nicht immer von der einfachen Sorte gewesen. Er hat das väterliche Unternehmen verlassen, um es zu konkurrenzieren, und er ist zurückgekehrt, um es mit großer Dynamik in eine neue Größenordnung zu führen. 40 Millionen Umsatz markieren den soliden Mittelständler, eindrucksvoller noch ist die Rendite: 23 Prozent plus! Ohne Zweifel: Dahinter stecken engagierte Arbeit, tüftlerisches Talent und eine stringente Unternehmensführung. Er lebt die klassischen Attribute des Mittelständlers und man glaubt es ihm, wenn er sagt „Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht fleißig bin!“ Nun kehrt ein Pforzheimer Unternehmer seiner Heimatstadt den Rücken und zieht mit Sack und Pack nach Thüringen. Wenn er in seiner ruhigen, aber bestimmten Art da sitzt und den Zeitungsleuten – unterstützt durch eine Powerpoint-Präsentation – die harten und weichen Faktoren präsentiert, die nach reiflicher Überlegung zu dieser tiefgreifenden Entscheidung geführt haben, dann bleiben keine Wenn und Aber, sondern die Erkenntnis – dann muss es wohl so sein! Zurück bleiben eine Stadt, die allen Grund hat, einem topsoliden Gewerbesteuerzahler nachzutrauern, zurück bleiben 100 verlorene Arbeitsplätze und eine Industrie-Immobilie, die man getrost zu den Preziosen in der Region zählen darf.

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